Am 14. März 2015 fand auf dem Friedhof von Hohen Neuendorf eine bewegende Trauerfeier für Jutta Resch-Treuwerth statt. Vor einer großen Anzahl von Trauergästen sprach u.a. Prof. Dr. habil Kurt Starke - ein langjähriger Wegbegleiter von Jutta - .über deren einzigartiges Lebenswerk. Hier seine Rede:
Liebe Familie! Liebe Trauergäste!
Du, lieber Dieter, hast mich gebeten, ein paar Worte zu Bedeutung von Jutta Resch-Treuwerth für die Sexualaufklärung zu sagen. Ich komme dem gern nach. Obwohl – wenn ich es recht bedenke – ist das eigentlich gar nicht nötig. Es gibt in Sexualpädagogik und Sexualwissenschaft kaum etwas, was weniger umstritten wäre als die Bedeutung von Juttas Wirken. Empirisch genügt der Hinweis auf den jahrzehntelangen Strom von Leserbriefen, und es wären heute Zehntausende von Menschen allen Alters, die sich vor Juttas Grab verneigten, weil sie Rat und Antwort erhalten haben.
Ich will mich vielmehr auf einige persönliche Bemerkungen und Begegnungen beschränken.
Ich habe Jutta vor über 50 Jahren kennengelernt, in Leipzig, an der Karl-Marx-Universität. Ich war junger Assistent und sie Studentin, eine zurückhaltende Studentin, die zwischen lauter klugen Burschen wie verloren schien und mit ihrer Ponyfriseur offensichtlich nicht recht für voll genommen wurde. Das missfiel mir, und da sie mir gefiel und mein pädagogischer Ehrgeiz in stürmischster Entwicklung war, warb ich sie für ein Referat mit angestrengt kompliziertem Thema. Was sie zögernd annahm. Als sie dann sprach, zog eine seltsame Ruhe ein. Ihrer sachlichen Art und der unprätentiösen Eleganz ihrer Formulierungen konnte sich niemand entziehen, genauso wenig wie ihrer Sprechweise, in der unverfälscht ein weibliches Ehrgefühl mitschwang und immer ein gewisser Berliner Charme und eine hauptstädtische Großgeistigkeit versteckt waren.
Juttas Selbstbewusstsein war nie aggressiv, nie eitel-dominant, nie herausgestellt, nie inszeniert, es war einfach da, es wirkte entlastend, konstruktiv und beförderte auf unnachahmliche Art das Selbstwertgefühl des anderen.
Dieses Selbstwertgefühl speiste sich in ihrem Lebenslauf gewiss aus vielen Quellen, aus ihrem beruflich Engagement, ihrem Realitätssinn, ihren Freunden und nicht zuletzt, lieber Dieter, aus Deinem, schier unerschöpflichen Reservoir an Lebenszugewandtheit.
Einmal lud mich Jutta zu einem Interview ein, über AIDS. Sie schrieb mit, mit der Hand. Daran wurde ich erinnert, als ich ihre letzte Kolumne in der Jungen Welt las. Unter der Überschrift „Ich kann schreiben“ bezieht sie sich auf genau darauf, auf das Schreiben mit der Hand. Ja, Jutta konnte schreiben! und wie! Im Falle des AIDS-Interviews sah ich mit Erstaunen und Bewunderung, dass sie meine flimmernden Gedanken logisch auf den Punkt gebracht hat.
Wir haben publizistisch vielfältig zusammengearbeitet, beispielsweise in Form von Gutachten. Oder zum Beispiel 1994 in Uta Kolanos Film und Buch „Der nackte Osten“, in dem wir einträchtig beeinander sind, genauso wie fast 20 Jahre später im kollektiv d’amour der selben Herausgeberin. Oder in Juttas letztem Buch Warum denn nicht! in dem sich Frauen ab 50 über die Liebe äußern und ich - als einziger Mann – wie selbstverständlich zu Worte kam.
Wir trafen uns auf Veranstaltungen, in Leipzig, Chemnitz, Stuttgart und sonst wo, zuletzt auf einer Tagung in Merseburg, wo es ihr in einer scheinemanzipatorischen Diskussion zu bunt wurde, und sie mit klaren und deutlichen Wort den verkünstelten Disput wieder in die Wirklichkeit holte. Da habe ich sie echt bewundert, wiederum.
Eine besonders enge Zusammenarbeit ergab sich in unserer Gesellschaft für Sexualwissenschaft. - In den 70er und 80er Jahren gehörten Jutta und ich der Arbeitsgemeinschaft „Medizinische und pädagogische Probleme der Sexualität“ an, die von Lykke Aresin geleitet wurde. Aus dieser Arbeitsgemeinschaft entstand 1990 die Gesellschaft für Sexualwissenschaft e.V. Leipzig. Jutta war Gründungsmitglied. 1993 bis 2000 gehörte sie dem Vorstand an, zuletzt als 2. Vorsitzende. Mit ihr und Dir, lieber Dieter, erhielt die Gesellschaft viel Aufwind, wir organisierten gemeinsam 7 Jahrestagungen. Jutta stand voll und ganz hinter dem interdisziplinären Konzept dieser Gesellschaft und arbeitete eng mit den einschlägigen Fachdisziplinen zusammen.
Im Grunde ist es ganz und gar einseitig, Jutta als Sexualaufklärerin zu bezeichnen. Sie hat sich zwar vor keiner sexuellen Fragestellung gedrückt, aber doch immer die Kontexte gesehen und vor allem diesen, diesen Kontexten Aufmerksamkeit geschenkt – der Partnerbeziehung vor allem, der Lust und der Liebe, der Familie, den Bezugspersonen. Für sie war Sexualität Teil der Persönlichkeit und wie diese gesellschaftlich determiniert. Blanken Sex gab es für sie nicht, und sie verdunkelte Sexualität nicht, und sie verdächtigte Sexualität nicht, genauso wenig wie sie sexuelles Agieren technizistisch interpretierte oder annahm, dass sich die große Lust rein durch Körpermanipulationen erreichen ließe.
Unmittelbar nach der Nachricht von Juttas Tod rief mich aufgeregt und ergriffen eine 35-jährige Pathologin an. Sie sagte, pathologisch/biologisch gesehen sei der Tod logisch, sozial und psychisch jedoch etwas Unbegreifliches, etwas Unfassbares, einfach Leid und Schmerz, der an die Fragilität des eigenen Lebens erinnere und die Kostbarkeit des Daseins anmahne. Dann kam sie unversehens auf Juttas Buch „Ich hab Dich lieb“ zu sprechen und erwähnte zwei Geschichten, die seit ihrer Kindheit fest in ihrem Gedächtnis geblieben seien, insbesondere – da sie selbst davon betroffen ist – die Geschichte „Ein behindertes Mädchen“ über Schwerhörigkeit. „Diese Geschichte, diese so wunderbar geschriebene Geschichte“, sagte sie, „hat mir Kraft für mein ganzes Leben gegeben. Nie wieder empfand ich mich so verstanden wie durch diese Geschichte.“
Diese schöne Überhöhung zeigt die ganze Emotionalität, die mit Juttas sachlichem Wirken verbunden war. Sie nahm Frage und Fragesteller ernst, sie traute ihnen, sie traute ihnen etwas zu, sie setzte auf Vernunft und Verstand – und auf das Gefühl. Jutta war ein Synonym für Liebe.
Jutta über sich
Vielleicht gehören Sie noch zu den Lesern, die mit meiner Kolumne Unter vier Augen in der Jungen Welt ihre ersten Schritte ins Liebesleben gingen und Krisen in der jungen Ehe beilegten.
Später kamen Kolumnen auch für ältere Leser hinzu - so in der Wochenpost, der Berliner Zeitung, der Märkischen Allgemeinen.
Mit einem wöchentlichen Ratgeber BILD intim war endgültig klar, dass Unter vier Augen auch nach der Wende etwas mitzuteilen hatte.
In den letzten Jahren bin ich für die Zuschauer bei den regionalen Privatsendern Ruppin-TV und Potsdam-TV auf den Bildschirm getreten und habe für die Leser des Wochenkurier in Sachsen und Teilen Brandenburgs geschrieben.
Ab März 2013 finden Sie Gedanken und Erfahrungen zu Liebe Lust und Gesellschaft von mir in einer Unter vier Augen-Kolumne in der "Jungen Welt". Alle 14 Tage in der Wochenendausgabe.
In meinem Buch Warum denn nicht! (Verlag Neues Leben ISBN: 978-355-01786-2) geht es natürlich auch wieder um die Liebe. Aber ich beantworte hier keine Fragen, wie es sonst in meinen Ratgeber-Büchern üblich war. Ich erzähle authentische, auf- und anregende Geschichten über verliebte Frauen, die Jüngste noch nicht ganz 50, die Älteste über 70 Jahre alt. Sie ließen mich bei unseren Gesprächen tief in die Zeit ihres partnerschaftlichen Vorlebens, ihrer kleinen sexuellen Abenteuer und ihrer neuen großen Gefühle schauen - Erlebnisse, die sie selbst nicht mehr für möglich gehalten hatten. Ihre Ängste vor Enttäuschungen waren weit in den Hintergrund gerückt, ihr Schutzschild, dass kein Mann in ihrem Singleleben einen Platz einnehmen sollte, löste sich in Luft auf. So hatten sie den Mut gefunden, sich auf eine neue Liebe einzulassen. Neugierig, offen und ein bisschen trotzig meinen sie: WARUM DENN NICHT !
Schauen Sie sich ein Video an, in dem ich dieses Buch vorstelle.