"Wir freuen uns, daß Jutta Resch-Treuwerth wieder als Kolumnistin für diese Zeitung tätig ist. Alle zwei Wochen wird es an dieser Stelle um Liebe, Lust und Last, Körper und Kopf gehen. Die Autorin war bis 1992 Redakteurin der jungen Welt und schrieb über 20 Jahre lang die Aufklärungskolumne »Unter vier Augen«." (jW 30.03.2013)
Können Sie sich erklären warum die Kolumne „Unter vier Augen“ eine so große Beliebtheit erreicht hat? Noch heute sprechen damalige Leser voller Begeisterung davon, obwohl die Beiträge schon seit 20 Jahren nicht mehr erscheinen.
Das ist sicher ein kleines Phänomen in unserer schnelllebigen Zeit. Im Jahre 1963, als in der politischen Tageszeitung „Junge Welt zum ersten Mal „Unter vier Augen“ erschien, war das eine Sensation. Über Liebe und Sex wurde in der Öffentlichkeit kaum gesprochen. Und über die Jugendliebe schon gar nicht. Das war zu dieser Zeit auch im Westen nicht besser. Die neuen Themen in der Zeitung ersetzten die fehlende Literatur und nicht vorhandene Beratungsstellen. Mädchen und Jungen zwischen 14 und 16 Jahren bekamen die Möglichkeit, ihre ganz persönlichen Fragen an die Redaktion zu schicken, sich etwas von der Seele zu laden. Und da damals der Kontakt zwischen Redaktion und Leser ausschließlich über den Brief funktionierte, wurde geschrieben und geschrieben - überwiegend mit der Hand, selten mit einer Schreibmaschine.
Was passierte mit der Briefflut?
Alle Briefe wurden beantwortet, auch wenn sie nicht für die Veröffentlichung infrage kamen. Das setzte Offenheit und Vertrauen auf beiden Seiten voraus, denn wer eine Rückmeldung wollte, musste mit Namen und Adresse schreiben. Darüber hinaus waren die dargestellten Probleme in der Zeitung eine Orientierungshilfe für Eltern und Lehrer. Da gab es so manchen „Aufreger“, der in den Klassenzimmern und zu Hause beim Abendbrot zu riesigen Debatten führte. Die liebevolle Erinnerung vieler Leser an „Unter vier Augen“ ist ein Stück eigenes Erwachsenwerden. Die Rubrik, die jede Woche einmal erschien (eine Zeitung kostete 10 Pfennige, am Wochenende 15 Pfennige), hat junge Mädchen und junge Männer von der Pubertät bis in ihre große Liebe und in die feste Partnerschaft begleitet. Diese guten Erfahrungen wurden an die nächste Generation weitergegeben.
In Ihrem Buch “Liebesbriefe aus zwei Jahrzehnten“, das Anfang der 90er Jahre erschien, veröffentlichen Sie Briefe, die nicht nur mit Liebe und Sex etwas zu tun haben. Und die teilweise auch von nicht jugendlichen Lesern verfasst wurden. Waren das Briefe, die zu DDR-Zeiten nicht erscheinen durften?
Es sind vor allem Briefe, die aufgrund ihrer Ausführlichkeit und wegen des Blicks hinter die Kulissen nicht für ein Frage- Antwort Format geeignet waren. Es wäre schade gewesen, sie darauf zu reduzieren. Ich habe diese Briefe über lange Zeiträume gesammelt. Die Idee, daraus ein Lesebuch zu machen, existierte schon vor der Wende. Aber so richtig wollte das niemand haben. Es waren einfach zu viel Unglück, Trauer, Verlassenheit, Konflikte auf einem Haufen. Die DDR wollte immer nur in strahlende Gesichter sehen. Natürlich habe ich dann nach der Wende auch noch mal auf Briefe geschaut, die ihres Inhalts wegen zu den Tabuthemen gehörten. Ich denke da an die Ausreisenden, an die West-Omas, an Behinderungen von Homosexuellen, die Einstellung zu ausländischen Freunden. Das Spannende an diesen Briefen ist, dass sie über ein Liebesproblem hinausgehen und DDR-Alltag beschreiben wie er tatsächlich empfunden und gelebt wurde. In diesen Zeitdokumenten hat niemand die rosarote Brille auf der Nase und es gibt keine Wertungen aus heutiger Sicht.
Interviewauszug aus jW
(16./17.März 2013)